Wortsinngemässe Patentverletzung entgegen lexikalisch engerer Bedeutung (BGH-Urteil „Luftklappensystem“)

Deutschland | 22.01.2016

Beim Ermitteln des Schutzbereichs genügt es nicht, die lexikalische Bedeutung des Anspruchswortlauts zu bestimmen. Es kommt auf den technischen Sinn des Merkmals im Rahmen der erfindungsgemässen Lösung an. Dies ist ein allgemein anerkannter Grundsatz der deutschen Rechtsprechung. Wie wird dieser Grundsatz nun angewendet, wenn der Anspruch von „blockiertem“ Luftstrom spricht, während die angegriffene Ausführungsform nur einen „verminderten“ Luftstrom realisiert?

Im Streitfall, der auf dem Tisch des Bundesgerichtshofs landete (X ZR 74/14), ging es um die Frage, ob der Patentanspruch auch dann verletzt ist, wenn das Merkmal „Blockieren der Luftströmung durch den Entlüftungskanal“ nur in dem Sinn benutzt wird, dass die Luftströmung durch den Entlüftungskanal nicht vollständig unterbunden, sondern nur gedrosselt ist.

Das Patent befasste sich mit einer Farbspritzpistole mit einem zentralen Auslass für den Farbsprühstrahl und mit seitlich in den Farbsprühstrahl gerichteten Formsprühkanälen. Um zu verhindern, dass das Gebläse überlastet wird, wenn die Formsprühkanäle gedrosselt oder geschlossen werden, war zusätzlich mindestens ein Entlüftungskanal vorgesehen, der den Farbsprühstrahl nicht beeinflusst.

Der Patentanspruch sprach von einer „Blockiervorrichtung“ mit zwei Positionen b1 und b2. In der ersten Position (b1) sollte die Luftströmung durch den Formkanal blockiert und durch den Entlüftungskanal freigegeben sein. Und in der zweiten Position (b2) sollte umgekehrt die Luft durch den Formkanal freigeben und durch den Entlüftungskanal blockiert sein.

Die angegriffene Ausführungsform besass vier Entlüftungskanäle, welche in der Position b2 der Blockiervorrichtung aber nicht vollständig blockiert waren, sondern in geringem Mass noch Luft durchliessen. Die Klägerin machte geltend, es handle sich um eine wortsinngemässe oder zumindest äquivalente Patentverletzung.

Das Landgericht Mannheim und das Oberlandesgericht Karlsruhe hatten die Klage abgewiesen. Es liege keine wortsinngemässe Verletzung vor.

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeute „blockieren“, dass der Weg abgeriegelt, also verschlossen sei. Aus der Patentschrift ergebe sich keine andere Bedeutung. Bei der Würdigung des Standes der Technik werde nämlich unterschieden zwischen „Blockieren“ und „Drosseln“ („blocked or restricted“). Zudem werde in der Erfindungsbeschreibung stets das Gegensatzpaar „zugelassen“ und „blockiert“ verwendet. Und bei den Ausführungsbeispielen gehe es um ein Umlenken des Luftstroms zwischen Formgebungskanal und Entlüftungskanal. Die Entlüftungskanäle müssten also alle geschlossen sein, wenn der Formgebungskanal offen sei. Für eine äquivalente Verletzung sah das Gericht keine Grundlage.

Der Bundesgerichtshof (BGH) war anderer Meinung und hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf.

Es ist zwar richtig, beim Ermitteln des Wortsinns des Anspruchs von der allgemeinen sprachlichen Bedeutung eines Wortes auszugehen. Falsch ist es aber, wenn danach nur noch gefragt wird, ob sich der Patentschrift Anhaltspunkte für eine abweichende Bedeutung entnehmen lassen.

Es ist vielmehr zu prüfen, ob die Auslegung (z.B. gemäss der allgemeinen sprachlichen Bedeutung) mit dem massgeblichen technischen Sinn des Merkmals im Rahmen der Lösung der gestellten Aufgabe vereinbar ist.

Im Streitfall erfordert die Position b2 der Blockiervorrichtung nicht zwingend ein vollständiges Blockieren, ein teilweises Blockieren kann ausreichen. In der Beschreibungseinleitung werden die Begriffe „blocked“ und „restricted“ nur nebeneinander gestellt und nicht voneinander abgegrenzt. Sie werden beide als Ursache der im Stand der Technik nachteiligen Effekte dargestellt.

Dass in der weiteren Beschreibung nur noch von „blockieren“ die Rede ist, ist kein Hinweis darauf, dass es auf den Unterschied zwischen „blockieren“ und „drosseln“ ankommt.

Im Ergebnis kommt der BGH zum Schluss, dass eine wortsinngemässe Verletzung vorliegt.

Dieses Urteil ist sachgerecht. Die Auslegung des Anspruchs soll sich am technischen Sinn eines Merkmals und nicht nur an der lexikalischen Bedeutung orientieren. Allerdings wird die Interpretation des Schutzbereichs nicht leicht, wenn man stets daran denken muss, ob eine „teilweise“ Benutzung eines Wortes auch noch eine identische Verletzung darstellt.

Links: juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py

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