Uneinheitlichkeit a posteriori (T 0755/14, „Bodenabtragvorrichtung“)
Eine Anmeldung darf nur eine Erfindung zum Gegenstand haben. Dies ist eine Ordnungsvorschrift, die einzig organisatorischen, dokumentarischen, verfahrenstechnischen und haushaltstechnischen Zwecken dient. Auf den erreichbaren Schutz hat sie keine Auswirkungen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Patentamts soll die Einheitlichkeitsprüfung daher nicht zu engstirnig durchgeführt werden. Wie sieht das aber in der Praxis aus?
Die angemeldete Erfindung betraf einen sogenannten Schlitzwandgreifer zur Herstellung eines Schlitzes im Boden. Der Anspruch 1 enthielt als Kennzeichnen einen Linearantrieb und einen Mechanismus, der die Linearbewegung in eine Drehbewegung umsetzte. Die abhängigen Ansprüche spezifizierten die Elemente des Kennzeichens in verschiedenster Weise näher.
Die Rechercheabteilung erstellte zunächst nur einen Teilrecherchebericht, in welchem sie zwei Entgegenhaltungen zitierte. Eine davon war für den Anspruch 1 neuheitsschädlich. Infolgedessen verlangte der Rechercheur vier zusätzliche Recherchegebühren, weil die abhängigen Ansprüche vier verschiedene Gruppen von unterschiedlichen Detailverbesserungen enthalten würden (a posteriori Uneinheitlichkeit).
Der Anmelder zahlte die vier zusätzlichen Gebühren unter Widerspruch. Der danach folgende vollständige Recherchebericht enthielt dann drei weitere Entgegenhaltungen, von denen einerseits zwei bereits in der Patentanmeldung genannt waren und andererseits die verbleibende Entgegenhaltung nur zur Illustration des technologischen Hintergrundes genannt war, also ohne Relevanz für die Patentfähigkeit war.
Im Prüfungsverfahren stand die Rechtfertigung für die zusätzlichen Recherchegebühren zur Diskussion. Die Prüfungsabteilung entschied, dass die a posteriori Uneinheitlichkeit gerechtfertigt war, dass aber zwei der vier zusätzlichen Recherchegebühren wegen des geringen Rechercheaufwandes zurückzuzahlen waren. Dagegen erhob der Anmelder Beschwerde. Gleichzeitig verlangte er die Rückerstattung der Beschwerdegebühr, da ein Verfahrensmangel vorliege.
Die Beschwerdekammer gibt dem Anmelder in der Sache Recht. Die Rechercheabteilung ist beim Prüfen der a posteriori Uneinheitlichkeit falsch vorgegangen.
Wenn die Recherche zum Ergebnis führt, dass der Anspruch 1 nicht patentfähig ist, dann muss der Rechercheur prüfen, ob die abhängigen Ansprüche spezielle technische Merkmale („special technical features“) enthalten, die gegenüber dem bereits ermittelten Stand der Technik patentfähig sein könnten. Erst wenn dies bejaht ist, kann der Rechercheur zusätzliche Recherchegebühren wegen a posteriori Uneinheitlichkeit verlangen.
Im vorliegenden Fall war der Rechercheur entgegen den konkreten Anweisungen in den Prüfungsrichtlinien falsch vorgegangen. Deshalb ist der Entscheid der Prüfungsabteilung aufzuheben. Ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinn der Regel 103 EPÜ liegt aber gemäss Beschwerdekammer nicht vor, da die Prüfungsrichtlinien keinen verbindlichen Charakter haben. Daher wird die Beschwerdegebühr nicht zurückerstattet.
Anmerkung: In der Praxis ist es häufig so, dass der breite Hauptanspruch durch eine Entgegenhaltung getroffen wird und dass der Anmelder danach verschiedene Möglichkeiten hat, den Anspruchsgegenstand abzugrenzen. Dabei ist es natürlich wichtig, dass er einen möglichst vollständigen Überblick über den Stand der Technik erhält, damit er den richtigen Weg einschlagen kann. Unsorgfältig durchgeführte Recherchen und Teilrecherchen sind ein Ärgernis und der Anmelder sollte sich dagegen zur Wehr setzen.
Links: https://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/recent/t140755du1.html