Regeln des obersten chinesischen Volksgerichts für die Beurteilung von Markenkonflikten in Administrativverfahren
Das chinesische Markengesetz ist bezüglich der Rechte und Pflichten im grossen Ganzen auf ähnlichem Niveau wie die europäischen Markengesetze. Allerdings existiert es in dieser Form erst etwa seit 15 Jahren. Die letzte Gesetzesverbesserung liegt sogar nur 4 Jahre zurück. Um den Gerichten die Auslegung gewisser Rechtsbegriffe zu erleichtern, hat das oberste Gericht eine neue Verordnung erlassen.
In China hat das höchste Gericht ein Regelwerk verabschiedet, welches in 30 Artikeln sowohl verfahrensmässige als auch markenrechtliche Anweisungen für die Markenstreitverfahren vor Administrativgerichten gibt. Am 1. März 2017 werden die Regeln in Kraft treten.
Ganz konkret richten sich die Regeln richten an die Administrativgerichte, die Verfahren über Entscheide der Beschwerdekammern der Industrie und Handels-Verwaltung führen und zwar in Fragen wie:
· Zurückweisung einer Markenanmeldung;
· Widerspruch gegen eine Markenanmeldung;
· Löschung oder Nichtigerklärung einer eingetragenen Marke.
Das Regelwerk befasst sich zu einem wesentlichen Teil mit der Schutzverweigerung wegen beschreibenden Charakters, Täuschungsgefahr und Verletzung von älteren Drittrechten einschliesslich bösgläubiger Markenanmeldung durch Unberechtigte.
Die nachfolgende Kurzfassung der Inhalte der 30 Artikel vermittelt ein Bild, wo das oberste Gericht im Einzelfall Klärungsbedarf sieht:
Art. 2: Das Gericht hat sich auf das Vorbringen der Parteien zu stützen.
Art. 3: Hinsichtlich Identität und Verwechslungsgefahr einer Marke mit offiziellen Zeichen von China muss der Eindruck der Marke als Ganzes berücksichtigt werden.
Art. 4: Täuschende und irreführende Marken bezüglich Qualität und Herkunftsort der Waren sind zurückzuweisen.
Art. 5: Unter den gesetzlichen Schutzverweigerungsgrund „andere negative Effekte“ (Art. 10.8 Markengesetz) fallen Marken, die einen negativen Einfluss auf das öffentliche Interesse oder die Gesellschaftsordnung haben oder die den Namen von Personen der Öffentlichkeit (Politik, Kultur, Wirtschaft, Religion, Ethnik) enthalten.
Art. 6: Marken, die neben einer anderen Komponente auch den Namen einer inländischen oder ausländischen Region enthalten, die der Öffentlichkeit in China bekannt ist, sind schutzfähig, falls sie als Ganzes eine Bedeutung ausserhalb der reinen Herkunftsangabe haben.
Art. 7: Marken sind jeweils als Ganzes zu beurteilen im Hinblick auf die beanspruchten Waren/Dienstleistungen aus Sicht der allgemeinen Wahrnehmung durch das angesprochene Publikum. Ein einzelner beschreibender Bestandteil der Marke steht der Schutzfähigkeit nicht entgegen, sofern die Marke als Ganzes unterscheidungskräftig ist.
Art. 8: Fremdsprachige Marken sind im Lichte der Sprachkenntnisse des angesprochenen chinesischen Publikums zu beurteilen.
Art. 9: Formmarken sind a priori nicht schutzfähig. Wenn sie sich aber aufgrund langer und umfangreicher Benutzung im Verkehr durchgesetzt haben, können sie eingetragen werden.
Art. 10: Ob eine Marke ein nicht schutzfähiger generischer Begriff ist, beurteilt sich danach, ob der Begriff von den massgeblichen Gesetzen, den Ländern, den Industriestandards oder dem angesprochenen chinesischen Publikum (in ganz China) gewohnheitsmässig zur Bezeichnung des Produkts verwendet wird. Der Zeitpunkt für die Beurteilung ist grundsätzlich der Anmeldezeitpunkt, aber es können auch faktische Veränderungen berücksichtigt werden, die bis zur Erteilung aufgetreten sind.
Art. 11: Eine Marke, die Eigenschaften des Produkts (z.B. Rohmaterial, Funktion, Zweck, Gewicht, Menge, Herkunft) zwar andeutet, aber nicht beschreibt, ist trotzdem schutzfähig, wenn sie eine Unterscheidungsfunktion hat.
Art. 12: Wird eine Marke angegriffen gestützt auf eine nicht-eingetragene bekannte (well-known) Marke, sind diverse Aspekte als Ganzes zu berücksichtigen, wie Ähnlichkeit der Marken (Widergabe, Imitation, Übersetzung), Ähnlichkeit der Produkte, Bekanntheitsgrad der älteren Marke, Aufmerksamkeit des Publikums beim Kauf oder Absichten bei der jüngeren Markenanmeldung.
Art. 13: Wird eine Marke angegriffen gestützt auf eine eingetragene bekannte (well-known) Marke, sind diverse Aspekte als Ganzes zu berücksichtigen, wie Ähnlichkeit der Marken (Widergabe, Imitation, Übersetzung), Ähnlichkeit der Produkte, Bekanntheitsgrad der älteren Marke, Überschneidungen bezüglich des angesprochenen Publikums und dessen Aufmerksamkeit beim Kauf oder Umstände des Einzelfall bezüglich Rechtmässigkeit der jüngeren Marke.
Art. 14: Bei einem Konflikt mit einer eingetragenen bekannten Marke kann das Gericht den Fall direkt anhören, wenn die angegriffene jüngere Marke vor weniger als fünf Jahren eingetragen worden ist.
Art. 15: Eine widerrechtliche Eintragung einer fremden Marke durch den Agenten liegt dann vor, wenn der Anmelder der fremden Marke ein bestehender oder zukünftiger Vertreter, Distributor oder Detailhändler des Markenberechtigten ist oder wenn er ein Vertrauter (z.B. ein Familienmitglied) eines Vertreters etc. ist.
Art. 16: Unter einer „anderen Beziehung“ zwischen dem Markenanmelder und dem Inhaber der älteren Marke sind auch folgende Beziehungen zu verstehen: (1) Familienbeziehung, (2) Angestelltenverhältnis, (3) geografische Nähe, (4) erfolglose Verhandlungen über eine Markenvertretung (5) erfolglose Verhandlung über eine Geschäftsbeziehung.
Art. 17: Einer Klage auf Nichtigerklärung einer strittigen Marke wegen Irreführung aufgrund geografischer Angaben in der Marke im Sinn von Art. 16 des Markengesetzes ist stattzugeben, wenn der Kläger beweisen kann, dass die Irreführung des angesprochenen Publikums hinsichtlich der Herkunft oder den mit der geografischen Angabe verbundenen Produkteigenschaften wahrscheinlich ist.
Art. 18: Als ältere Rechte eines ersten Benutzers der Marke, die einer späteren Anmeldung durch einen Dritten entgegenstehen, sind auch seine bürgerlichen Rechte oder sonstige schutzwürdige Interessen zu verstehen. Wenn diese älteren Rechte aber zum Zeitpunkt der Eintragung nicht mehr existieren, stehen sie der Eintragung der jüngeren Marke nicht mehr entgegen.
Art. 19: Wenn der Kläger geltend macht, die angegriffene Marke würde sein Urheberrecht beeinträchtigen, soll das Gericht prüfen, ob die Voraussetzungen des Urheberechts erfüllt sind.
Art. 20: Wenn der Kläger geltend macht, die angegriffene Marke würde sein Namensrecht verletzen, soll das Gericht prüfen, ob das angesprochene Publikum die Marke oder die Waren in einem Zusammenhang mit dem Kläger stehen. Das gleiche gilt für Pseudonyme, Künstlernamen, übersetzte Namen, sofern diese Namen dem Publikum bekannt sind und mit dem Kläger in Verbindung gebracht werden.
Art. 21: Wenn der Kläger geltend macht, die angegriffene Marke würde seinen Handelsnamen beeinträchtigen, dann soll das Gericht prüfen, ob der Handelsname einen gewissen Ruf erlangt hat, ob die angemeldete Marke gleich oder ähnlich zum Handelsnamen ist, ob eine Verwechslungsgefahr zwischen der Marke und dem Handelsnamen besteht.
Art. 22: Eine auf Urheberrecht gestützten Löschungsklage ist gutzuheissen, wenn der Titel oder die Namen der Figuren einen erhöhten Bekanntheitsgrad haben und wenn infolgedessen das Publikum irregeführt wird, weil es einen Zusammenhang zwischen der jüngere Marke und dem Inhaber des Urheberrechts vermutet.
Art. 23: Wenn der Kläger gestützt auf seine eigene früher benutzte bekannte Marke die Löschung einer später angemeldeten Streitmarke verlangt, ist die Klage gut zu heissen, wenn die jüngere Marke auf „sonstige illegitime Weise“ angemeldet worden ist, wenn der Inhaber der jüngeren Marke von der früher benutzten Marke wusste oder hätte wissen müssen. Der Kläger kann den Bekanntheitsgrad der früher benutzten Marke beweisen über Benutzungsdauer, Territorium der Benutzung, Verkaufsvolumen, Werbung und Publizität. Wenn die jüngere Marke für andersartige Waren eingetragen ist, ist die Klage des Benutzers der älteren Marke abzuweisen.
Art. 24: Eine Marke kann auch dann wegen Erlangung auf „sonstige illegitime Weise“ gelöscht werden, wenn sie zwar nicht bösgläubig eingetragen worden ist, aber wenn die Ordnung der Markenregistrierung gestört, ein negativer Einfluss auf das öffentliche Interesse besteht, eine illegitime Bindung öffentlicher Ressourcen resultiert oder die Erlangung anderer illegitimer Zwecke dient.
Art. 25: Bei der Prüfung wegen bösgläubiger Hinterlegung soll das Gericht eine gesamtheitliche Betrachtung anwenden. Wenn der Anmelder der strittigen Marke keinen legitimen Grund für die Markenanmeldung zeigen kann, soll das Gericht Bösgläubigkeit unterstellen.
Art. 26: Als rechtserhaltende Benutzung gemäss Art. 49 des Markengesetzes soll auch die Benutzung durch den Lizenznehmer oder eine andere Benutzung gelten, die nicht im Widerspruch zum freien Willen des Markeninhabers ist. Eine Benutzung in geringfügig abweichender Form von der eingetragenen Marke soll als ausreichend betrachtet werden. Keine ausreichende Benutzung ist die Übertragung oder Lizenzierung der Marke, die öffentliche Ankündigung des Markeninhabers, dass die Marke eingetragen ist, oder die Erklärung, dass der Markeninhaber exklusive Rechte besitze.
Art. 27: Eine Verletzung der Verfahrensregeln durch die Beschwerdekammer liegt insbesondere dann vor, wenn das rechtliche Gehör verweigert wird, wenn die Zusammensetzung der Beschwerdekammer der Partei nicht mitgeteilt worden ist und wenn sich ein Mitglied der Kammer hätte zurückziehen müssen.
Art. 28: Wenn der Beschwerdekammerentscheid die Löschung der Marke zur Folge hat und die Tatsachen, auf welche sich die Beschwerdekammer gestützt hat, nicht mehr bestehen, kann das Gericht die neuen Fakten bestimmen und den Fall neu entscheiden.
Art. 29: Wenn die Beschwerdekammer eine Marke zur Eintragung zulässt aufgrund neuer Tatsachen und Rechtsgründe, die der Anmelder im vorhergehenden Verfahren aus objektiven Gründen noch nicht vorbringen konnte, kann die Berufung vor dem Gericht durch den Inhaber der älteren Marke nicht wegen „gleichen Fakten und Gründen“ abgewiesen werden.
Art. 30: Ein zweites Verfahren vor Gericht ist abzuweisen, wenn bereits ein Gericht über die Fakten und Rechtsgrundlagen gültig entschieden hat.
Art. 31: Die Verordnung tritt am 1. März 2017 in Kraft.
Links: Supreme_Court_Regulations_on_Several_Trademark_issues_-_Mit_hoeflicher_Genehmigung_von_NTD.PDF