Patentierungsvoraussetzung für mathematische Methoden (BGH – „Flugzeugzustand“)
Zu den grundlegenden Voraussetzungen der Patentierbarkeit gehört die Technizität der Erfindung. Diese ist gegeben, wenn die beanspruchte Lehre den Einsatz technischer Geräte umfasst. Vom Schutz ausgeschlossen sind mathematische Methoden und Programme für die Datenverarbeitung als solche. In seinem Urteil „Flugzeugzustand“ hatte der BGH nun zu beurteilen, ob ein Berechnungsverfahren, das sich nur in mathematischen Schritten vom Stand der Technik unterscheidet, patentierbar ist.
Die strittige Anmeldung befasst sich mit einem „Verfahren zur Ermittlung eines Flugzeugzustandes“. Die Idee der Erfindung besteht darin, dass die stark verrauschten Messdaten, die zudem in hoher Taktrate anfallen, mit einer bestimmten Mittelungsmethode verarbeitet werden, bevor sie in an sich bekannter Weise mit einem Kalman-Filter verarbeitet werden.
Aus dem Stand der Technik war bereits ein System bekannt, bei welchem die Daten vor der Kalman-Filterung einer arithmetischen Mittelung unterzogen wurden. Neu ist nur die Tatsache, dass die Mittelung auf andere Weise erfolgt, nämlich durch das Bestimmen von Schwerpunkt und Radius einer n-dimensionalen Kugel im n-dimensionalen Parameterraum. Die Kugel soll die kleinstmögliche Kugel sein, die alle Messpunkte im n-dimensionalen Raum einschliesst.
Das Deutsche Patentamt und das Bundespatentgericht hatten die Anmeldung aus folgenden Gründen zurückgewiesen: Im Vergleich zum nächstkommenden Stand der Technik unterscheide sich das beanspruchte Verfahren einzig dadurch, dass zur Repräsentation der Einzelwerte andere statistische Grössen (nämlich Mittelpunktsvektor und Radius der n-dimensionalen Kugel) verwendet würden als im Stand der Technik. Diese neuen Merkmale beruhten auf Überlegungen der Statistik oder der Datenmodellierung, nicht aber auf technischen Überlegungen. Es sei im Übrigen irrelevant, dass diese nicht-technischen Verfahrensschritte auf technische Daten angewendet würden.
Somit unterscheide sich die Erfindung nur in nicht-technischen Merkmalen vom Stand der Technik. Gerade solche Merkmale dürften aber bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden. Daher sei die Erfindung für den Fachmann nahe gelegt.
Die vom Anmelder eingelegte Rechtsbeschwerde beim BGH hat zur Aufhebung des Urteils geführt.
Bezugnehmend auf die alte Rechtsprechung „Rote Taube“ (1969) bestätigt der BGH als erstes den alten Grundsatz, dass der Patentschutz dem Gebiet der Technik vorbehalten ist und dass eine patentierbare Erfindung eine Lehre zum technischen Handeln sein muss. Technisches Handeln besteht im Arbeiten mit den Mitteln der Naturkräfte. Es ist aber gerade charakteristisch für die Arbeit mit Naturkräften, dass die zugrunde liegenden Gesetzmässigkeiten mit mathematischen Methoden umschrieben werden. Deshalb sind mathematische Methoden nicht generell vom Patentschutz ausgeschlossen. Vielmehr ist es so, dass sie dem Patentschutz durchaus zugänglich sind, wenn sie sich technischer Mittel bedienen und ein technisches Problem lösen. Nicht-technisch ist eine mathematische Methode nur dann, wenn ihre Anwendung keinen Bezug zur gezielten Anwendung von Naturkräften hat.
Im konkreten Fall stellt der BGH fest, dass das beanspruchte Verfahren technischer Natur ist, weil es den Einsatz technischer Geräte voraussetzt, nämlich eine Trägheitsanlage in einem Flugzeug und eine Datenverarbeitungsanlage für das Kalmanfilter.
Die im Anspruch genannten Rechenoperationen stellen zwar die Anwendung von statistischen Methoden dar. Sie weisen im vorliegenden Fall aber sehr wohl einen hinreichenden Bezug zur gezielten Anwendung von Naturkräften auf. Die Rechenschritte bewirken nämlich eine Beschleunigung der mit dem Kalmanfilter durchgeführten weiteren Berechnungen und dienen dem Zweck, zuverlässigere Erkenntnisse über den Zustand des Flugzeugs zu gewinnen. Ferner wird so die Funktionsweise des Systems, das der Ermittlung des Zustands dient, beeinflusst.
Die vom Bundespatentgericht als nicht-technisch betrachteten Verfahrensschritte sind also bei der Beurteilung der Patentfähigkeit vollumfänglich zu berücksichtigen.
Mit diesem Urteil bestätigt der BGH die patentfreundliche Stossrichtung, dass mathematische Methoden und Software immer dann patentierbar sind, wenn die Beeinflussung eines technischen Systems bezweckt wird.