Patentfähigkeit der zweckgerichteten Nutzung einer wissenschaftlichen Entdeckung (BGH – Rezeptortyrosinkinase)

Deutschland | 17.06.2016

Das europäische Patentrecht schliesst wissenschaftliche Entdeckungen vom Patentschutz aus. Schützbar ist eine Erfindung nur dann, wenn sie eine technische Anwendung des aufgedeckten wissenschaftlichen Zusammenhangs darstellt. Es fragt sich nun, in welchem Mass der technische Anteil der Erfindung über die reine wissenschaftliche Entdeckung hinausgehen muss, damit Patentschutz möglich ist.

Das 1997 angemeldete Patent EP 959 132 B stellt eine Nucleinsäure unter Schutz, die für eine Rezeptorproteinkinase codiert. Diese Nucleinsäure kann aufgrund genetischer Veränderungen als Marker bei der Diagnose einer bestimmten leukämischen Erkrankung (AML) verwendet werden. Die Erfindung basiert dabei auf der Erkenntnis, dass die FMS-artige Tyrosinkinase 3 (FLT3) bei der Leukämie-Erkrankung eine wichtige Rolle spielt.

Gegen dieses Patent von Invivoscribe wurde in Deutschland Nichtigkeitsklage erhoben. Unter anderem wurde von der Klägerin geltend gemacht, der Anspruch 1 stelle eine Entdeckung unter Schutz, er beziehe sich damit auf eine vom Patentschutz ausgeschlossene Entdeckung.

Das Bundespatentgericht wies diesen Nichtigkeitsgrund zurück und hielt das Patent – nach der Prüfung der übrigen Nichtigkeitseinwände – in geänderter Form aufrecht.

Dagegen erhob die Klägerin Berufung beim Bundesgerichtshof (BGH). Allerdings ohne Erfolg.

Das Gericht unterscheidet zwischen der Entdeckung als solchen (die vom Patentschutz ausgeschlossen ist) und der „Lehre zum technischen Handeln, die die Nutzung einer Entdeckung zur Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs“ betrifft. Die technische Lehre der genannten Art ist nach europäischem Patentrecht sehr wohl dem Patentschutz zugänglich.

Dabei ist es nicht erforderlich, dass die technische Lehre einen „erfinderischen Überschuss“ über die Nutzung des aufgedeckten naturgesetzlichen Zusammenhangs hinaus besitzt. Jedes technische Handeln beruht nämlich auf der zielgerichteten Nutzung von Naturgesetzen. Man darf daher bei der Beurteilung der Patentfähigkeit einer Lehre nicht unberücksichtigt lassen, ob dem Fachmann das Erkennen einer physikalischen, chemischen oder biologischen Gesetzmässigkeit nahelag, die die Grundlage der technischen Lehre bildet.

Der BGH grenzt die europäische Rechtslage dabei ausdrücklich von der Rechtsprechung des US Supreme Courts in Sachen Mayo v. Prometheus ab.

Weiter ist es auch nicht erforderlich, dass im Anspruch erwähnt wird, dass die Nucleinsäure in isolierter Form vorliegt oder durch ein technisches Verfahren gewonnen wird. Das in der Ausführungsordnung des Europäischen Patentübereinkommens erwähnte Verbot, die Entdeckung einer Gensequenz des menschlichen Körpers zu patentieren, bekräftigt nur den Grundsatz, dass Entdeckungen als solche nicht patentiert werden können. Geschützt wird im vorliegenden Fall nicht die Entdeckung der Sequenz, sondern die Lehre, dass und wie die Gensequenz durch Isolierung technisch nutzbar gemacht werden kann. Es ist der Charakter eines jeden Sachanspruchs, dass er die Sache identifiziert, die die geschützte technische Lehre kennzeichnet. Die technische Lehre ist es, eben diese Sache (durch ein technisches Verfahren) bereitzustellen.

Anmerkung. Dieses Urteil ist bemerkenswert, weil der BGH sich ausdrücklich von der problematischen Rechtsprechung des US Supreme Courts distanziert (siehe unseren Artikel

Links: juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py

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