Miterfinderschaft trotz Unterschieden im Offenbarungsgehalt (BGH-Urteil „Kfz Stahlbauteil“)
Viele Industrieunternehmen nutzen die Zusammenarbeit mit spezialisierten Ingenieurunternehmen, wenn sie mit Hilfe neuer Technologien ihre Produkte verbessern wollen. Das Ergebnis dieser Entwicklungsprojekte möchten sie dann auch patentieren können. Voraussetzung dafür ist, dass sie sich die nötigen Rechte vertraglich sichern. Dabei ist im Auge zu behalten, dass eine Miterfinderschaft des Ingenieurunternehmens schon dann möglich ist, wenn dessen Vorprojektarbeit den Ausgangspunkt der späteren Erfindung bildet.
Ein Ingenieurunternehmen hatte einem Automobilzulieferer die Verwendung des Zink-Thermodiffusionsverfahrens für den Oberflächenkorrosionsschutz von Bauteilen aus hochfestem Stahl vorgeschlagen. Dabei legte es die Ergebnisse von Belastungstests eines entsprechend behandelten Spezialstahls vor. Die Parteien schlossen daraufhin eine Vertraulichkeitsvereinbarung und lancierten ein Entwicklungsprojekt.
Im Verlauf des Projekts meldete der Automobilzulieferer entgegen der Vertraulichkeitsvereinbarung ein Patent an für ein warmgeformtes und pressgehärtetes Strukturbauteil aus hochfestem Stahl mit einer Korrosionsschutzschicht aus Zink von weniger als 10 Mikron Dicke an. Das Ingenieurunternehmen beanstandete die Patentanmeldung als vertragswidrig, worauf der Automobilzulieferer die Anmeldung zurückzog und das Recht für diese Patentansprüche dem Ingenieurunternehmen überliess. Dieses meldete die Erfindung seinerseits zum Patent an.
Daraufhin meldete der Automobilzulieferer ein neues Patent an für die Verwendung eines solchen Stahls als Kfz Strukturbauteil. Kern des Anspruchs war die Warmbehandlung zwischen 320°C und 400°C, um die Duktilität etwas zu erhöhen.
Auch diese Anmeldung (Streitpatent) erachtete das Ingenieurunternehmen als widerrechtlich und klagte auf Abtretung und Schadenersatz.
Das Landgericht gab dem Kläger recht, das Oberlandesgericht dagegen wies die Klage ab. Letzteres stellte fest, dass sich das Streitpatent mit dem Faltenwurf von Strukturbauteilen im Crash befasse. Im Unterschied dazu ginge es bei der Erfindung des Ingenieurunternehmens um eine Korrosionsbeschichtung. Weiter sei zu beachten, dass der Anspruch des umstrittenen Verwendungspatents eine Temperatur von 320°C bis 400°C vorschreibe zur Verbesserung der Materialeigenschaften, wohingegen in der Patentschrift des Ingenieurunternehmens eine Wärmebehandlungstemperatur von weniger als 320°C empfohlen sei, um die Materialeigenschaften nicht zu verändern. Im Ergebnis habe das Ingenieurunternehmen keinen Beitrag an den Gegenstand des Streitpatents geleistet und könne folglich keine Miterfinderschaft beanspruchen.
Die Klägerin focht dieses Urteil mit Erfolg beim Bundesgerichtshof (BGH) an. Dieser begründete sein Urteil wie folgt.
Es kommt bei der Miterfinderschaft nicht auf die Unterschiede, sondern auf die Gemeinsamkeiten der Offenbarung an. Es genügt nicht, zu prüfen, ob sich den Unterlagen des Klägers entnehmen lässt, dass er im Besitz der im Anspruch des Streitpatents formulierten Lehre war. Vielmehr ist in erster Linie zu untersuchen, inwieweit die vom Kläger mitgeteilte Lehre und die des Streitpatents übereinstimmen. Erst die Gesamtschau der Übereinstimmungen erlaubt die Beurteilung, ob eine widerrechtliche Entnahme vorliegt. Miterfinderschaft kann nämlich schon derjenige geltend machen, der einen erfinderischen Beitrag, einen schöpferischen Anteil oder eine qualifizierte Mitwirkung an dem Gegenstand der Anmeldung geleistet hat. Es ist nicht erforderlich, dass der Berechtigte eine vollständige und eventuell für sich allein schutzfähige Erfindung gemacht hat.
Die Vorinstanz hat ausser Acht gelassen, dass das Ingenieurunternehmen die erfindungsgemässe Lehre erkannt hat. Es hat nämlich warmgeformte und pressgehärtete Bauteile aus hochfestem Stahl in dem patentgemässen Niedrigtemperaturbereich wärmehandelt (und gleichzeitig beschichtet), und es hat erkannt, dass die Bauteile geeignet und bestimmt waren, als Strukturbauteile für Kraftfahrzeuge verwendet zu werden. Ob der Kläger auch erkannt hat, dass die Bauteile aufgrund der etwas geringeren Zugfestigkeit aber so duktil sind, dass sie bei entsprechender Belastung Falten werfen, anstatt zu brechen oder zu reissen, ist nicht notwendig.
Das Streitpatent erfasst auch solche Strukturbauteile, die Gegenstand der Anmeldung des Ingenieurunternehmens sind. Es spielt dabei keine Rolle, dass die Ansprüche des Streitpatents Verwendungsansprüche und nicht Erzeugnisansprüche sind. Der Verwendungsanspruch hätte hier ebenso gut auch als Sachanspruch formuliert werden können.
Der Unterschied in den angegebenen Temperaturbereichen ist nicht relevant. Der Stahl verfügt auch nach der Wärmebehandlung noch über die hochfesten Eigenschaften und ist nur in der Zugfestigkeit etwas herabgesetzt im Interesse einer verbesserten Duktilität. Es besteht daher kein Widerspruch zur Lehre des Streitpatents.
Gemäss dem Streitpatent können auch Bauteile, die über eine Korrosionsschutzschicht verfügen, einer Wärmebehandlung von 320-400 °C unterzogen werden. Dies ist ein Indiz, dass keine strikte Abgrenzung besteht. Es gibt demzufolge Überschneidungen der Temperaturbereiche für gute Beschichtungen und erhöhte Duktilität. Der Kläger hatte einen vorteilhaften Temperaturbereich von 280-370°C, insbesondere 300–320°C erkannt. Zudem hatte der Kläger bereits Zugfestigkeitswerte für einen wärmebehandelten BTR-Stahl dokumentiert, wie sie später im Streitpatent genannt sind.
Das Ingenieurunternehmen hat demzufolge wesentliche Teile der Erfindung erkannt und diese den Beklagten mitgeteilt. Die Vorinstanz hat aber noch nicht geklärt, ob der Kläger auch die aus den Crashtests gewonnenen Erkenntnisse mitgeteilt hat. Deshalb wird das Urteil aufgehoben und zur weiteren Klärung an die Vorinstanz zurück verwiesen.
Unsere Anmerkung: Der BGH hat mit diesem Urteil einmal mehr klargestellt, dass Miterfinderschaft keinen „erfinderischen Beitrag“ zum Stand der Technik erfordert. In der Praxis wird daher eine Zusammenarbeit meistens zu einer Miterfinderschaft führen. Entsprechend wichtig ist es, im Fall einer Zusammenarbeit die Rechte auf das Patent im Voraus klar zu regeln.
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