Fehlende Klarheit von technischen Normen (T 1888/12 – WABCO)

Europäisches Patentamt (EPA) | 14.01.2016

Das Europäische Patentamt prüft die Ansprüche nicht nur auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit, sondern auch auf Klarheit. Gerade dieses Erfordernis hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Es kommt immer häufiger vor, dass Patente im Grunde wegen mangelnder Klarheit zurückgewiesen werden. Dabei ist nicht immer klar, was „klar“ ist. Ist zum Beispiel eine ISO-Norm klar?

In einer kürzlichen Entscheidung (T 1888/12) hat die Beschwerdekammer ihre frühere Rechtsprechung (T0783/05) bestätigt, wonach die Nennung z. B. einer ISO- oder DIN-Norm in der Regel nicht klar ist.

Im Entscheid T 1888/12 ging es um einen „Adapter“ zum Koppeln eines Anhängers an ein Zugfahrzeug. Die Erfindung lag darin, dass der Adapter neben einem proprietären Anschluss an die Steuerung des Zugfahrzeugs auch zwei weitere, ISO-genormte Anschlüsse aufwies. Der umstrittene Teil des Anspruchs lautete wie folgt: 

 „….einen zweiten Adapteranschluss gemäss der Norm ISO 7638 und einen dritten Adapteranschluss gemäss der Norm ISO 12098“

Die Beschwerdekammer weist diesen Anspruch zurück, weil die technischen Merkmale nicht klar sind. Es fehlt nämlich das Datum der Norm. Auch in der Beschreibung findet sich kein Hinweis auf das massgebliche Datum der Norm. Es ist gemäss der Beschwerdekammer nicht ausgeschlossen, dass die fragliche Norm sich im Lauf der Zeit (insbesondere noch während der Patentlaufzeit) ändert. Die Patentanmelderin hat auch nicht belegt, dass gerade diese Norm keine substanziellen Änderungen erlebt hat.

Das Argument der Anmelderin, nämlich dass die Norm in der Version zum Prioritätszeitpunkt der Anmeldung massgeblich sei, überzeugt die Beschwerdekammer nicht, weil in der Anmeldung nichts Entsprechendes erwähnt war.

In der früheren Entscheidung T 0783/05, auf die der neue Entscheid explizit Bezug nimmt, ging es um ein

„Mineralfaserprodukt, welches die Bestimmungen der Nichtbrennbarkeit gemäß DIN 4102 A1 erfüllt“

Schon damals war der Anspruch als unklar zurückgewiesen worden, da auf eine DIN Norm 4102 A1 unbestimmten Datums Bezug genommen worden war. Die Beschwerdekammer sagte dazu:

„Erfahrungsgemäß werden solche Normen im Laufe der Zeit, d. h. möglicherweise noch während der Gültigkeitsdauer des Streitpatents, unter Umständen sogar mehrmals, revidiert, wobei substantielle Änderungen nicht auszuschliessen sind. Die verfahrensbeteiligte Einsprechende O2 hat hierzu unwidersprochen vorgetragen, dass die DIN 4102 letztmalig im Jahre 2004 modifiziert worden sei. Das Argument der Beschwerdeführerin I, dass bei der Betrachtung der DIN-Norm auf den Zeitpunkt des Streitpatents abzustellen sei, überzeugt nicht, da die Beschreibung keinen derartigen Hinweis enthält.“

Diese Entscheidungen zeigen, dass ein auf den ersten Blick eindeutiger Bezug auf eine Norm nicht ohne weiteres das Klarheitserfordernis erfüllt. Wenn man das relevante Versionsdatum in der Beschreibung nicht angegeben hat, kann man sich im Anspruch im Normalfall nicht auf technische Normen abstützen. Der Ausnahmefall, dass man zeigen kann, dass sich eine Norm nicht ändert und dass die datumslose Nennung daher klar ist, dürfte selten zum Zug kommen.

Links: www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/pdf/t121888du1.pdf

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