Unzulässige Änderung des ursprünglichen Gattungsbegriffs (BGH X ZR 63/15 - Digitales Buch)

Deutschland

Wenn die Patentanmeldung erst einmal eingereicht ist, dann ist der maximale Schutzbereich auch abgesteckt. Dabei kommt es nicht nur darauf an, den richtigen Wortlaut der Ansprüche zu haben. Ansprüche dürfen nämlich durchaus geändert werden im Verlauf der Prüfung. Wichtig ist auch die Beschreibung, weil sie vorgibt, was man als Erfindung zu verstehen hat. In seinem Urteil „digitales Buch“ befasst sich der BGH mit der Frage, unter welchen Umständen die ursprüngliche Terminologie verallgemeinert werden darf.

Die Stammanmeldung betraf ein sogenanntes digitales Buch und der ursprünglich angemeldete Anspruch verwendete diesen Wortlaut auch explizit als Gattungsbegriff.

Der Patentinhaber zweigte aus der Stammanmeldung eine Teilanmeldung ab, die zu einem weiteren Patent führte. Dieses verwendet als Gattungsbegriff „Anzeigevorrichtung insbesondere zur Wiedergabe von Text oder Bildinformation“. Im Oberbegriff spricht der Anspruch von einem Gehäuse, das „buchartig um eine Klappachse eines Drehgelenks auf- und zuklappbar ist“. Das kennzeichnende Merkmal ist ein Stecker im Drehgelenk für Strom und/oder Datensignale.

Die Patentschrift enthält keine Definition des ursprünglich verwendeten Begriffs „digitales Buch“.

Gegen dieses Patent wurde eine Nichtigkeitsklage erhoben. Das Bundespatentgericht (BPatG) kam zum Schluss, dass das Patent nur in einem auf ein „digitales Buch“ eingeschränkten Umfang (Hilfsantrags II) rechtsbeständig wäre. Der im Hauptantrag verteidigte allgemeinere Anspruch würde über den Inhalt der ursprünglichen Offenbarung hinausgehen und sei daher unzulässig. 

Dagegen ging die Patentinhaberin in die Berufung. Der BGH weist die Berufung aber ab und bestätigt das Urteil des BPatG. Er stellt fest, dass im Patentanspruch nicht zum Ausdruck kommt, was in der Beschreibung hervorgehoben ist als Unterschied zwischen den nicht erfindungsgemässen grossen, schwieriger zu bedienende Geräten wie Laptops und Notebooks einerseits und den erfindungsgemässen handlichen, leichter zu bedienende Geräten wie digitalen Büchern andererseits nicht zum Ausdruck kommt. Deshalb geht der Patentanspruch über den Inhalt der Patentanmeldung hinaus und ist nichtig.

Der BGH geht von folgenden Grundsätze aus.

Der Fachmann muss die im Anspruch formulierte technische Lehre den Anmeldungsunterlagen unmittelbar und eindeutig entnehmen können.

Als mögliche Ausführungsformen der Erfindung kommen dabei durchaus auch gewisse Verallgemeinerungen der offenbarten Ausführungsbeispiele in Frage. Dies z.B. dann, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels nur einzelne in den Anspruch aufgenommen werden, diese aber dem erfindungsgemässen Erfolg förderlich sind.

Eine Verallgemeinerung der offenbarten Lehre ist nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass der ursprünglich angemeldete Anspruch auf digitale Bücher beschränkt war.

Eine Verallgemeinerung ist auch nicht schon durch den Umstand ausgeschlossen, dass alle Ausführungsbeispiele ein bestimmtes Merkmal, hier ein „digitales Buch“ betreffen.

Weil aber die im Anspruch vorgesehenen Mittel zur Lösung eines Problems dienen, das den Einsatz eines digitalen Buches voraussetzt, sind nur digitale Bücher als zur Erfindung gehörig offenbart worden.

Zur konkreten Offenbarung der Patentschrift führt der BGH Folgendes aus:

Auch wenn die Patentschrift als Ganzes keine exakte Definition der Merkmale eines digitalen Buchs enthält oder Aussagen über Grösse, Gewicht und Funktionalität der Bedienelemente macht, so lässt sich doch aus der Zielsetzung ableiten, dass als digitales Buch im Sinne des Patents nur ein Gerät in Betracht kommt, das aufgrund der Gesamtheit seiner Ausstattungsmerkmale eine Handhabung ermöglicht, die derjenigen eines herkömmlichen, nicht allzu voluminösen und schweren Buches vergleichbar ist.

Diese nicht wirklich exakte Abgrenzung mag in gewissen Fällen zwar mit Schwierigkeiten verbunden sein. So zum Beispiel dann, wenn ein modernes Gerät aufgrund seiner Ausstattung nicht nur wie ein Buch, sondern auch wie ein Personal Computer benutzt werden kann. Dies ist aber aus Sicht des BGH nicht ein grundsätzliches Problem, weil es sehr wohl tragbare Computer gibt, die aufgrund ihres Gewichts und der Anordnung der Bedienelemente gerade nicht dazu geeignet sind, wie ein Buch benutzt zu werden.

Der im Anspruch verwendete Begriff „Anzeigevorrichtung zur Wiedergabe von Text oder Bildinformation“ ist nicht gleichbedeutend mit „digitales Buch“. Vielmehr ist der anspruchsgemässe Begriff breiter und umfasst auch Anzeigevorrichtungen, die nicht dazu geeignet sind, wie ein Buch benutzt zu werden. Dies entspricht nicht nur dem allgemeinen Sprachverständnis sondern auch dem Verständnis der Patentbeschreibung. So wird an mehreren Stellen der Beschreibung zum Ausdruck gebracht, dass ein digitales Buch unter den Begriff Anzeigevorrichtung fällt. Dagegen ist nirgends ersichtlich, dass die Begriffe synonym sein sollen.

Auch die weiteren Merkmale im Anspruch führen nicht dazu, dass der Gegenstand des Anspruchs auf ein „digitales Buch“ beschränkt ist. So kann z.B. das Merkmal, dass „das Gehäuse ein Hauptteil und ein Nebenteil“ aufweist, nicht nur bei einem digitalen Buch, sondern auch bei einem anderen Gerät erfüllt sein.

Da der Anspruch keine weiteren Anforderungen aufzählt, wie z.B. dass das Gerät leicht handhabbar sei, und eine einfache Bedienung ermögliche oder dass die beiden Teile voneinander getrennt werden können, kann nicht gefolgert werden, dass der Sinngehalt den Anspruch auf ein digitales Buch beschränkt.

Der Anspruch geht somit über den ursprünglichen Sinngehalt der Anmeldung hinaus.

Anmerkung: Dieses Urteil zeigt, dass es nicht nur auf die Begriffswahl ankommt, sondern auch darauf, wie die Erfindung in der Beschreibung gegenüber dem Stand der Technik abgegrenzt wird und was als zu lösendes Problem dargestellt wird. Eine unsorgfältige Formulierung in der Patentanmeldung, kann im Verlauf des Prüfungsverfahrens meist nicht mehr verbessert werden.

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