Abgrenzung zwischen Erschöpfung und Neuherstellung (BGH X ZR 55/16 – Trommeleinheit)

Deutschland

Wenn der Patentinhaber sein patentgeschütztes Produkt auf den Markt gebracht hat, kann er mit seinem Patent nicht verhindern, dass der Käufer dieses rechtmässig erworbene Produkt durch Dritte reparieren lässt oder an Dritte weiterverkauft. Dies besagt der Rechtsgrundsatz der Erschöpfung. Wie verhält es sich aber, wenn das Patent sich nur auf einen Teil des Produkts bezieht? Darf ein Dritter das Produkt erneuern für den Wiederverkauf?

Canon vertreibt Drucker und zugehörige Kartuschen. Diese enthalten neben dem Verbrauchsmaterial auch die Trommel, mit welcher das Bild elektrofotografisch gedruckt werden kann. Canon ist Inhaberin des Patents EP 2 087 407 B1, welches die „Trommeleinheit“ der Kartusche unter Schutz stellt. Die patentgeschützte Besonderheit der Trommeleinheit ist die Kupplung, mit welcher die Trommel an den Antrieb des Druckers gekoppelt wird. Diese Kupplung schwenkt sich beim ein- bzw. auskuppeln der Trommel in den bzw. vom Druckermotor.

Ein Mitbewerber hat sich nun darauf spezialisiert, alte Canon-Kartuschen zu rezyklieren. Er nimmt also die von den Benutzern entsorgten Kartuschen, wechselt die Trommel aus und füllt die Kartusche auf. Diese Kartuschen bringt er zu deutlich günstigeren Preisen als Canon auf den Markt. Für die Abnehmer sind diese Kartuschen eigentlich wie neu.

Canon klagte gegen den Mitbewerber wegen Patentverletzung. Das Ersetzen der Trommel führe im Ergebnis zu einer Neuherstellung der Kartusche bzw. der Trommeleinheit. Das Oberlandesgericht bestätigt die Patentverletzung. In der Revision kommt der BGH aber zum Schluss, dass keine Patentverletzung vorliegt, weil im konkreten Fall das Rezyklieren vom Erschöpfungsgrundsatz gedeckt ist. Der BGH führt Folgendes aus:

Das Prinzip der Erschöpfung stellt sicher, dass die vom Patentinhaber in Verkehr gebrachten patentgemässen Produkte im Markt frei zirkulieren können. Jeder rechtmässige Erwerber ist befugt, diese Exemplare bestimmungsgemäss zu gebrauchen und weiterzuverkaufen.

Zum bestimmungsgemässen Gebrauch gehört das Wiederherstellen der Gebrauchstauglichkeit, wenn die Funktion oder Leistungsfähigkeit des konkreten Exemplars ganz oder teilweise wegen Verschleiss oder Beschädigung beeinträchtigt ist. Das Ersetzen einzelner Teile ist dabei zulässig, selbst wenn diese Teile im Anspruch „erfindungsfunktionell individualisiert“ sind. Vom bestimmungsgemässen Gebrauch ist die Neuherstellung zu unterscheiden. Diese bleibt dem Patentinhaber vorbehalten.

Massgeblich ist das im Patentanspruch geschützte Erzeugnis (die sog. Gesamtkombination). Dies gilt auch dann, wenn das im Patentanspruch definierte Erzeugnis als Bestandteil eines umfassenderen Gegenstands in Verkehr gebracht wird. In der bisherigen Rechtsprechung waren „Gesamtvorrichtung“ und das „geschützte Erzeugnis“ jeweils identisch. Im vorliegenden Streitfall ist dies dagegen nicht so.

Wenn sowohl die „Gesamtvorrichtung“ als auch der „Bestandteil“ mit separaten Patentansprüchen geschützt sind, dann ist die Erschöpfung für jeden der beiden Ansprüche separat zu beurteilen. Massnahmen, die zur Wiederherstellung der Gesamtvorrichtung dienen, erschöpfen somit den Anspruch auf die Gesamtvorrichtung, aber nicht unbedingt den Anspruch auf den Bestandteil.

Dasselbe Prinzip muss gelten, wenn die Gesamtvorrichtung nicht unter Schutz steht. Der Erwerber darf in diesem Fall die Gesamtvorrichtung also bestimmungsgemäss benutzen oder auch neu herstellen (weil sie nicht patentgeschützt ist). Daraus ergibt sich aber nicht die Befugnis einen patentgeschützten Bestandteil neu herzustellen.

Die Rechte am Erzeugnis sind deshalb nicht bereits dadurch erschöpft, dass der Patentinhaber den Drucker (mit Kartusche) in Verkehr bringt.

Ob eine Reparatur oder eine Neuherstellung vorliegt, ist grundsätzlich aus der Sicht der Abnehmer zu beurteilen. Weil die Kunden im vorliegenden Fall die Trommeleinheit als Produkt nicht wahrnehmen (da nur die ganze Kartusche auf den Markt gebracht wird), hat das Oberlandesgericht eine fiktive Verkehrswahrnehmung für die Trommeleinheit konstruiert und ist danach zum Ergebnis gekommen, dass das Rezyklieren eine (unzulässige) Neuherstellung darstellt.

Der BGH widerspricht dieser Begründung. Im Zusammenhang mit der Erschöpfung darf keine fiktive Verkehrswahrnehmung konstruiert werden.

Für die Frage der Erschöpfung ist im vorliegenden Fall nicht entscheidend, dass aus Sicht der Verbraucher der Ersatz der Trommel einer Neuherstellung der Trommeleinheit gleichkommt. Massgeblich ist einzig, ob sich die technischen Wirkungen der Erfindung in den ausgetauschten Teilen widerspiegeln.

Das Interesse des Patentinhabers an der wirtschaftlichen Nutzung der Erfindung ist gegenüber dem Interesse der Abnehmer am ungehinderten Gebrauch des erworbenen Erzeugnisses abzuwägen. Dabei muss die patentgeschützte Eigenart des Erzeugnisses berücksichtigt werden.

Der BGH stellt zwar fest, dass für die Abgrenzung zwischen bestimmungsgemässen Gebrauch und Neuherstellung grundsätzlich die Verkehrsauffassung zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Fall ist allerdings die Besonderheit, dass die Verbraucher nur den Drucker und die austauschbare Kartusche kennen, nicht aber die Trommeleinheit. Es ist daher nicht möglich, dass sich eine Verkehrsauffassung in Bezug auf die Trommeleinheit bildet.

Massgeblich ist in solchen Konstellationen, (also in Konstellationen, wo die Neuherstellung nicht auf der Grundlage der Verkehrsauffassung bejaht werden kann), ob sich gerade in den ausgetauschten Teilen die technischen Wirkungen der Erfindung widerspiegeln.

Der Austausch der Bildtrommel und des Flansches ist keine Neuherstellung, weil sich in diesen Teilen die Erfindung nicht widerspiegelt. Die Bildtrommel war bekannt und die Erfindung ändert die Eigenschaften, Funktionsweise oder Lebensdauer der Trommel nicht. Zwar erleichtert das erfindungsgemässe Kupplungsbauteil die Montage und Demontage der Trommeleinheit in der Kartusche. Die Trommel ist aber blosses Objekt der Trommeleinheit und hat an der erfindungsgemässen Wirkung per se nicht Teil. Dasselbe gilt für den Flansch der Trommel. Das führt zum Ergebnis, dass der Austausch der Trommel und des Flansches keine (unzulässige) Neuherstellung, sondern nur eine (zulässige) Reparatur ist.

Anmerkung: Der Grundsatz der Erschöpfung führt in gewissen Fällen dazu, dass der wirtschaftliche Nutzen der Erfindung nicht wirklich ausgeschöpft werden kann. So auch im vorliegenden Fall Allerdings zeigt das vorliegende BGH-Urteil, dass es neben der Verkehrsauffassung auch darauf ankommen kann, ob die reparierten Teile quasi zum Kern der Erfindung gehören oder nicht.

Lnks: juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py