Beurteilung technisch bedingter Designs (DOCERAM v. CeramTec C395/16)
Mit dem Designrecht (Geschmacksmusterschutz) wird die Erscheinungsform eines Erzeugnisses geschützt. Auch wenn das Produkt keinen „ästhetischen Gehalt“ hat, kann seine Erscheinung geschützt werden. Wenn die Form dagegen ausschliesslich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt ist, gibt es keinen Designschutz. Der EUGH hat nun entschieden, wie zu prüfen ist, ob ein Erscheinungsmerkmal ausschliesslich durch die technische Funktion bestimmt ist.
DOCERAM stellt technische Keramikelemente für die Automobil- und Maschinenindustrie her. Für ihre konkreten Schweisszentrierstifte hat sie ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Design) eingetragen. CeramTec verkauft identische Zentrierstifte. Dagegen ist DOCERAM mit einer Verletzungsklage beim LG Düsseldorf vorgegangen. CeramTec hat zu seiner Verteidigung auf Nichtigkeit des Geschmacksmusters geklagt.
Das Landgericht Düsseldorf erklärt die Designs für nichtig. Das Oberlandesgericht erkennt, dass das Geschmacksmuster zwar Neuheit und Eigenart aufweisen, möchte aber vom EUGH wissen, wie der Schutzausschlussgrund der technischen Bedingtheit zu beurteilen ist.
In der Rechtsprechung und Lehre gibt es nämlich zwei Meinungen. Die eine geht dahin, dass die technische Bedingtheit bereits dann zu verneinen ist, wenn es Design-Alternativen gibt. Die andere besagt, dass technische Bedingtheit dann vorliegt, wenn die technische Funktion der einzige Faktor ist, der die Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses bestimmt und wenn somit ästhetische Überlegungen bei der Produktentwicklung völlig irrelevant sind.
Zudem stellte das OLG Düsseldorf die Frage, ob die Beurteilung aus Sicht eines „objektiven Beobachters“ zu erfolgen habe und wie dieser gegebenenfalls zu definieren sei.
Die Vorlage ist auf die Auslegung des Art. 8 Abs. (1) der Verordnung Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster gerichtet, der wie folgt lautet:
„Ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster besteht nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind.“
Der EUGH stellt als erstes fest, dass der Ausdruck „Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind“ im Gesetz nicht näher definiert ist. Nach der ständigen Rechtsprechung muss der Begriff daher unter Berücksichtigung seines Kontextes und seiner Zielsetzung ausgelegt werden.
Aus dem Gesetz ergibt sich kein Kriterium, das bei der Beurteilung dieser Art Erscheinungsmerkmale zu beachten ist. Das bedeutet, dass aus der Verordnung nicht ersichtlich ist, dass das Bestehen alternativer Designs das einzige Kriterium sein kann.
Weiter ergibt sich aus den Erwägungsgründen der Verordnung, dass dieser Schutzausschluss nicht bedeutet, dass ein Design zwingend einen ästhetischen Gehalt aufweisen muss. Mit anderen Worten, das Erzeugnis muss nicht einen ästhetischen Aspekt haben, um geschützt werden zu können. Allerdings weist der EUGH darauf hin, dass die Erscheinungsform das entscheidende Merkmal eines Geschmacksmusters ist. Zum einen ist der Begriff „Geschmacksmuster“ als die Erscheinungsform eines Erzeugnisses definiert, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder Werkstoffe eines Erzeugnisses oder seiner Verzierung ergibt. Zum anderen wird in den Artikeln zur Schutzfähigkeit (Eigenart) und zum Schutzumfang auf den Gesamteindruck beim informierten Betrachter abgestützt.
Deshalb kommt der EUGH zum Ergebnis, dass der Geschmacksmusterschutz für den Fall ausgeschlossen ist, dass das Bedürfnis eine technische Funktion des Erzeugnisses zu erfüllen, der einzige Faktor ist, der den Entwerfer dazu bewegt hat, sich für ein bestimmtes Erscheinungsmerkmal des Erzeugnisses zu entscheiden. In einem solchen Fall spielen nämlich Erwägungen bezüglich der visuellen Erscheinung des Erzeugnisses bei der Entscheidung keine Rolle.
Gemäss dem 10. Erwägungsgrund soll der Ausschluss technisch bedingter Erscheinungsmerkmale gerade verhindern, dass technische Innovationen dadurch behindert werden, dass Erscheinungsmerkmale geschützt werden, die ausschliesslich durch die technische Funktion eines Erzeugnisses bedingt sind. Genügte nämlich bereits die Existenz alternativer Geschmacksmuster, mit denen sich dieselbe Funktion wie die des betreffenden Erzeugnisses erfüllen lässt, um die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auszuschliessen, so wäre gemäss EUGH
„nicht auszuschließen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer mehrere denkbare Formen eines Erzeugnisses, das ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingte Erscheinungsmerkmale aufweist, als Gemeinschaftsgeschmacksmuster eintragen lässt. Dies würde ihm erlauben, hinsichtlich eines solchen Erzeugnisses von einem aus praktischer Sicht ausschließlichen Schutz, der einem Patentschutz gleichkäme, zu profitieren, ohne den für die Erlangung eines Patents geltenden Voraussetzungen zu unterliegen. Zudem könnte dies seine Konkurrenten daran hindern, ein Erzeugnis mit bestimmten funktionellen Merkmalen anzubieten, oder es würde die möglichen technischen Lösungen einschränken und damit Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 die praktische Wirksamkeit nehmen.“
Somit ist der Geschmacksmusterschutz auszuschliessen, wenn für die Gestaltung des Erzeugnisses nur funktionsbezogene technische Erwägungen, aber keine anderen Erwägungen eine Rolle spielen. Wenn also beispielsweise keine Erwägungen entscheidungserheblich sind, die mit der visuellen Erscheinung zusammenhängen. Dies gilt auch dann, wenn es andere Geschmacksmuster gibt, mit denen sich dieselbe Funktion erfüllen lässt.
Die zweite Frage, nämlich ob die Beurteilung aus Sicht eines „objektiven Betrachters“ zu erfolgen hat, beantwortet der EUGH dahingehend, dass es im Gesetz keine Grundlage für die Einführung eines objektiven Betrachters gibt und dass deshalb das Gericht alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen hat. Es ist auf die objektiven Umstände des Einzelfalls abzustützen, um die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses zu ermitteln. Auch Informationen über dessen Verwendung oder auch auf das Bestehen alternativer Geschmacksmuster, mit denen sich dieselbe technische Funktion erfüllen lässt, können berücksichtigt werden, soweit für diese Umstände, Informationen oder Alternativen tragfähige Beweise vorliegen.
Anmerkung: Mit diesem Urteil wird der Angriff auf die Schutzfähigkeit von primär technisch verwendeten Erzeugnissen erleichtert. Während der Geschmacksmusterinhaber bisher einen Angriff wegen technischer Bedingtheit in vielen Fällen allein schon dadurch zu Fall bringen konnte, dass er Designalternativen präsentierte (und solche existieren praktisch immer), muss er nun weitere Gründe gegen die technische Bedingtheit vortragen. Er muss zeigen können, dass bei der Entscheidung über die Produktgestaltung auch nicht-technische Motive eine Rolle spielen.
Zwar ist die Schweiz kein EU-Mitglied und deshalb durch diese Rechtsprechung nicht gebunden. Aber es ist zu erwarten, dass sich die Schweizer Rechtsprechung mittelfristig dem EUGH-Urteil anschliessen wird, um eine Harmonisierung zu erreichen.