Äquivalenz von nicht beschriebenen Ausführungsformen (BGH – Pemetrexed)
Für den Schutzumfang eines Patents ist der Anspruchswortlaut massgeblich. Allerdings ist auch die Beschreibung zu berücksichtigen und zwar sowohl für den technischen Sinngehalt des Anspruchswortlauts als auch für die Bemessung des Äquvalenzbereichs. Nach einem mittlerweile etablierten Grundsatz dürfen Ausführungsformen, die zwar in der Beschreibung offenbart sind, die aber nicht mehr unter den Wortlaut des Anspruchs fallen, nicht als geschützte Äquivalente betrachtet werden. Wie verhält es sich bei nicht offenbarten, aber naheliegenden Varianten?
Der Streitfall drehte sich um das Patent EP 1 313 508 B1 von Eli Lilly. In der Patentschrift wird zur Erläuterung des technologischen Hintergrunds erwähnt, dass Antifolate zu den am besten untersuchten Klassen von antineoplastischen Mitteln gehören. Als Beispiele für bekannte Antifolate werden fünf Substanzen angegeben, unter anderem auch Pemetrexeddinatrium. Allerdings seien Antifolate hochgradig toxisch und seien daher mit dem die Toxizität reduzierenden Vitamin A kombiniert worden. Gemäss dem ursprünglich angemeldeten Patentanspruch sollte die Erfindung in der Kombination von einer Methylmalonsäure reduzierender Substanz mit einem Antifolat zu sehen sein.
Im Verlauf des Prüfungsverfahrens wurde der breite Anspruch aber eingeschränkt auf die Kombination von Pemetrexeddinatrium (als Antifolat) und Vitamin B12 (als Methylmalonsäure reduzierende Substanz) zur Hemmung des Wachstums von Tumoren. Die Patentschrift enthielt keinen Hinweis auf Pemetrexiddikalium.
Kurz vor Ablauf des Schutzrechts teilte ein Generika-Hersteller der Patentinhaberin mit, dass er nach Ablauf des Schutzrechts ein Kombinations-Medikament von Vitamin B12 mit Pemetrexeddikalium auf den Markt bringen wolle.
Die Patentinhaberin reichte daraufhin gegen den Generika Hersteller Klage wegen äquivalenter Patentverletzung ein. Das Landgericht hiess die Klage gut. In der Berufung verneinte das Oberlandesgericht Düsseldorf aber die Patentverletzung. In der Patentschrift sei durchgängig Pemetrexeddinatrium (Alimta®) als das wirksame Antifolat bezeichnet worden. Die chemische Definition sei exakt und eindeutig. Die Klagepatentschrift gebe keine Anhaltspunkte, dass unter Pemetrexeddinatrium etwas anderes zu verstehen sei, als der konkret angegebene Wirkstoff. Die fachmännische Erkenntnis, dass es auf die Antifolat-Wirkung von Pemetrexeddinatrium ankommt und nicht auf das Pemetrexeddinatrium selbst, könne nicht dazu führen, dass andere Pemetrexed Substanzen in den Schutzbereich fallen. Die Diskrepanz zwischen dem Beschreibungstext und dem erteilten Patentanspruch spiegle den Gang des Prüfungsverfahrens wider. Es gehe nicht an, dass Erfindungsgegenstände, die der Anmelder im Prüfungsverfahren bewusst aufgegeben habe, nachträglich über die Rechtsfigur der Äquivalenz im Verletzungsprozess wieder in den Patentschutz einzubeziehen. Es könne keinen Unterschied machen, ob die alternativen Lösungsvarianten in einer detaillierten Liste aufgeführt seien oder ob sie – wie im Streitpatent – durch einen übergeordneten Gattungsbegriff gleichsam gesammelt benannt würden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt das Urteil des OLG Düsseldorf auf und verweist den Fall zur weiteren Beurteilung zurück.
Es ist zwar richtig, dass gemäss dem Urteil „Okklusionsvorrichtung“ (X ZR 16/09) der Äquivalenzbereich im Fall einer Auswahlentscheidung nicht auf eine Ausführungsvariante erstreckt werden kann, die offenbart oder für den Fach-mann jedenfalls auffindbar ist, von welcher der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht unter Schutz gestellt werden sollte. Dieser Grundsatz gilt aber nur für die Konstellation, dass die Patentschrift selbst mehrere mögliche Ausführungsformen offenbart und dass der Patentinhaber somit eine Auswahlentscheidung getroffen hat. Eine Erweiterung auf jede Ausführungsform, die aufgrund der Angaben in der Patentschrift auffindbar war, führte hingegen zu weit. Die Auffindbarkeit ist nämlich eine Grundvoraussetzung für die Bejahung von Äquivalenz. Sie kann nicht bei der dritten Schneidmesser-Frage dazu eingesetzt werden, die Äquivalenz auszuschliessen.
Das OLG geht fälschlicherweise davon aus, dass die Offenbarung einer Gattung von chemischen Verbindungen dieselben rechtlichen Wirkungen habe wie die Auflistung aller zu der Gattung gehörenden und am Prioritätstag als solche bereits bekannten Verbindungen. Im Streitfall ist Pemetrexeddikalium in der Klagepatentschrift nicht aus-drücklich benannt. Der Umstand, dass es ein Antifolat ist und zu derselben Gruppe gehört wie Pemetrexeddinatrium, reicht nach der Rechtsprechung nicht aus, um es als durch die Klagepatentschrift offenbart anzusehen („Olanzapin“ – X ZR 89/07; „Escitalopram“ – Xa ZR 130/07). Besondere Umstände, die darauf hindeuten könnten, dass der Fachmann diese Verbindung dennoch gleichsam mitliest, sind nicht festgestellt. Der Fall wird deshalb zur weiteren Tatsachenfeststellung zurückverwiesen.
Anmerkung: Mit diesem Urteil klärt der BGH die Frage, wie vorzugehen ist, wenn die als Verletzung eingeklagte Ausführungsform unter einen in der Patentschrift genannten Gattungsbegriff fällt, aber nicht ausdrücklich unter den Beispielen für den Gattungsbegriff genannt ist. Hier ist eine Äquivalenz grundsätzlich möglich.
Die Beurteilung, ob eine abgewandelte Ausführungsform als äquivalente Patentverletzung einzustufen ist oder nicht, ist nach wie vor schwierig, weil nicht nur der Wortlaut des Patentanspruchs sondern auch weitere Umstände zu berücksichtigen sind. Der BGH ist sich dessen bewusst und hält das im Urteil auch fest: Das Berücksichtigen von Äquivalenten hat die Konsequenz, dass es für die Öffentlichkeit nicht möglich ist, den Schutzbereich eines Patents allein anhand der Fassung des Anspruchswortlauts in jeder Hinsicht exakt und abschliessend abzuschätzen. Dies ist aber ein hinzunehmender Bestandteil des Ausgleichs zwischen den Interessen des Patentinhabers an einem angemessene Schutz und der Öffentlichkeit an hinreichnder Rechtssicherheit.